Paris-Brest-Paris 2019 er-fahren!
Im Herbst 2016 – nach einer ersten Erfahrung bei längeren Rennradtouren (Peakbreak) – hörte ich das erste mal von den Randonneuren und ihrer sog. Olympiade, dem mehr als 1.200 km langen Fahrradmarathon (Brevet) Paris-Brest-Paris – kurz PBP genannt. Weitradlfoan funktionierte offensichtlich gut bei mir und PBP faszinierte mich augenblicklich! So fasste ich den Entschluss, bei der nächsten Austragung im August 2019 dabei zu sein. Nach fast 3 Jahren zielgerichtetem Langstreckentraining, dem Absolvieren von Brevets mit Distanzen von 200 bis 1.000 km in den Jahren 2017 und 2018, der Qualifikations-Brevet-Serie 2019 und allem was sonst noch so dazu gehört, um eine solche Distanz in Angriff nehmen zu können, stand ich am 18/19. August 2019 zusammen mit über 60 österr. Kolleginnen und Kollegen und weiteren 6.600 TeilnehmerInnen in Rambouillet, einem Vorort von Paris, am Start von PBP 2019!
Ich hatte mich im Vorfeld ausgiebig mit der Strecke, dem Höhenprofil und der Wettersituation auseinander gesetzt und einen Plan zurecht gelegt, dessen Ziel es war, die Distanz in ca. 60 Stunden inkl. aller notwendigen Pausen zu schaffen. Es war ein für mich sicher ambitionierter Plan und daher auch eine gute Motivation und Herausforderung.
3 Jahre Vorbereitung liefen nahezu perfekt und es gab lediglich eine Handvoll Tage, an denen ich mich nicht wohl fühlte und aufs Radeln verzichten musste. In den letzten 8 Wochen vor PBP hatte ich leider keine gute Zeit. Einen bösen Infekt mit hohem Fieber nach dem 600er Quali-Brevet Mitte Mai, einen blöden Sturz mit dem Rad Ende Juni und in der Woche vor PBP noch eine Angina. Die dadurch bedingten Trainingspausen machten mich echt unentspannt und ich möchte mich hier bei allen Menschen entschuldigen, denen gegenüber ich mich in dieser Zeit unmöglich benommen habe! Danke für eure Nachsicht! Nach dem Erreichen von mehr 600km beim 24-h-Rennen mitte Juli in Kaindorf war ich aber wieder zuversichtlich …
… und umso mehr stieg der Wunsch – eher sogar das Verlangen – diese geplanten 60 Stunden erreichen zu wollen. Alles war gut vorbereitet! Wir reisten zu fünft in einem Wohnmobil nach Paris an und bei den Kontrollstellen ca. alle 70 bis 90 km sollte mich mein Team mit dem Notwendigen versorgen. Ich brauchte also am Rad wenig mitzunehmen und hatte bei Bedarf auch eine komfortable Schlafgelegenheit im WoMo.
Ich entschied mich für den Start am Montag, 19. August um 05:00, weil ich eher in den Tag und nicht in die Nacht hinein starten wollte. Für diese Startzeit betrug die Karenzzeit 84 Stunden, um in die Wertung zu kommen. Es gibt noch jene mit 80 und 90 Stunden, die am Sonntag nachmittag/abend starteten.
Ich hatte also beim Start den „Wettkampf-Modus“ eingeschaltet – Wettkampf natürlich gegen mich selbst! Die ersten 3 Etappen liefen exakt nach Plan, weil ich die geschätzte Fahrzeit und die vorgesehenen wenigen kurzen Pausen einhalten konnten. Bei der Kontrollstelle Fougères nach ca. 300km traf ich Otto, meinen österreichischen Randonneurskollegen wieder. Wir hatten eigentlich vereinbart, die Strecke so gut es geht gemeinsam zu bewältigen. Beim Start in der Früh hatten wir uns allerdings aus den Augen verloren, umso mehr freuten wir uns beide über das Wiedersehen. „Ab jetzt fahren wir zusammem“ beteuerten wir – und das sollte tatsächlich bis zur Wiederankunft in Rambouillet/Paris so sein.
Wir kamen bei den Anstiegen, wenn wir nebeneinander fahren konnten, immer wieder ins Gespräch und Otto stellte mir da wichtige Fragen: „Wieso bist du bei PBP dabei?“, „Was willst du er-fahren bei diesem Lebensereignis?“. Der Begriff ‚Lebensereignis‘ ließ mich nachdenklich werden. PBP ist ohne Zweifel ein Erlebnis, das in meinem Leben einen herausragenden Stellenwert haben wird! Will ich mich dabei nur abhetzen, alles einem Zeitziel unterordnen, nur kurze Pausen am WoMo bei meiner Frau und den Freunden, die mich unterstützen, einlegen, ohne ihnen meine Eindrücke und Gefühle mitteilen zu können? Will ich die vielen enthusiatischen Menschen entlang der Strecke ignorieren, die auf die RadlerInnen warten, auch in der Nacht! Und die warten nicht auf Spitzenfahrer sondern auf MICH! Soll ich die lieben Angebote von ihnen an den vielen Ständen mit gratis Trinkwasser, Kaffee, Tee, Kuchen, Crepes, etc. nicht in Anspruch nehmen und nicht versuchen, mit ihnen kurz ins Gespräch zu kommen?
Will ich tatsächlich eine Hetzerei?
Otto schaffte es durch seine Fragen, dass ich den Schalter im Hirn umlegte und PBP 2019 wirklich als Randonnée (Radwanderung) erleben wollte und das dann auch konnte. Wir ließen uns mehr Zeit bei den Kontrollstellen, genossen frisch zubereitete Baguettes im WoMo bei meinem Team, das nun auch für Otto da war, wir blieben bei Standeln stehen, unterhielten uns mit den begeisterten Menschen dort und genossen das Angebotene. Hatten mehr Blicke für die wunderschöne Landschaft übrig und teilten die Strecke gemeinsam mit den anderen vielen Randonneuren auf Rennrädern, Liegerädern, Tandems, Velomobilen, Oldtimern, Falträdern, Fixies, … – und die unterschiedlichsten RadlerInnentypen – einfach großartig!!
Meine geplanten zwei Schlafpausen zu je 2 Stunden dehnten sich auf drei mit 3-4 Stunden aus.
Das wirkte auch für die Regeneration wirklich Wunder und nach jeder dieser Schlafpausen hatten wir wieder frische Kraft und guten Druck am Pedal. Otto und ich passen von der Fahrstrategie und vom Tempo gut zusammen. Bergauf nicht viel mehr Watt als auf der Ebene – dafür auch in der Ebene und auch bergab – wo es geht – noch treten. Diese Fahrweise ist offensichtlich nicht sehr verbreitet. Es war lustig, wenn wir x-mal bergauf von jenen Radlern überholt wurden, an denen wir dann später in der Ebene mit genau jenem regelmäßigen Druck am Pedal wieder vorbei schossen …
Und schlussendlich haben wir auch noch unseren Vorsatz, unter 70 Stunden zu bleiben, verworfen. Das hätten wir erreicht, wenn wir die letzte Nacht durchgefahren wären. Aber gerade die letzten 150km sind landschaftlich echt wunderschön und so beschlossen wir, unser 84h-Kontingent gut zu nutzen, und es bei Tageslicht zu genießen.
Es war die richtige Entscheidung. Auch wenn der Körper zu dieser Zeit schon mehr schlecht als recht funktionierte, hatten wir durch die tolle Umgebung, den Sonnenschein und unsere Gespräche eine gute Ablenkung.
Ich will auf keine weiteren Details unterwegs beim Radeln mehr eingehen, ausser zu sagen, dass der Kampf gegen die Müdigkeit und die körperliche Anstrengung des Radfahrens nicht ohne sind. Ich hatte unterwegs zwischen ca. KM 700-900 Schmerzen im rechten Knie. Jeder Tritt aufs Pedal fühlte sich wie ein stumpfer Schlag aufs Knie an. Das verschwand gottseidank wieder bzw. wurde auf den letzen 120km mit Hüft- und Knie-Schmerzen auf der linken Seite abgelöst. Ich glaub, ich war auch nicht der einzige, dessen Beine irgendwann von oben bis unten geschwollen waren und auch Tage danach noch blieben. Auch Otto hatte ebenso mit einigen Schmerzen zu kämpfen. So ging es dem einen und dann wieder dem anderen mal besser und mal schlechter und wir halfen uns gegenseitig über diese Schattenphasen.
Ich hatte 2 Strategien für’s „Durchbeißen“. Bei Müdigkeit oder nachlassender Wattleistung hörte ich Musik über mein Terrano-XT Kommunikationssystem am Helm. Damit kann man trotzdem noch die Geräusche des Straßenverkehrs wahrnehmen oder hören, wenn man angeprochen wird. Wenn’s wirklich um das Durchhalten und mangelnde Motivation ging, konnte ich mich durch Visualisierung meines Zieleinlaufes sehr gut zum Weitermachen anspornen. Dieses klare starke Bild in meinem Kopf – eher ein Film – von meinem erfolgreichen Durchfahren des Zielbogens am Ende der 1.200km habe ich die Tage vor dem Start zurecht gelegt und immer wieder in Gedanken erlebt. In schwierigen Situationen lief dieser Film in mir ab und half mir durchzuhalten und weiter zu machen, um meinen Zieleinlauf auch tatsächlich erleben zu können. Danke Petra für das Coaching!
Das Ankommen bei der Halbzeit in Brest am Atlantik und natürlich noch viel mehr das Erreichen des Ziels in Rambouillet/Paris waren sehr emotionale Momente, die ich nicht vergessen werde! Während des letzten Kilometers vor dem Ziel war ich telefonisch mit Sabine verbunden und wir erlebten die Ankunft gemeinsam! Das war ein wunderschöner Moment als ich mit ihr gemeinsam die Ziellinie überführ und sie später in die Arme schließen konnte. Ohne Sabine, die mich und Otto beim PBP so toll umsorgt und motiviert hat, und auch die Jahre der Vorbereitung immer unterstützend und aufbauend war, hätte ich PBP 2019 selber nicht so genießen können und den manchmal steinigen Weg dorthin nicht gehen können. Tausend Dank dafür Sabine!
Mein Dank gilt auch allen jenen Menschen, die mich zu diesem Vorhaben motiviert, mich dabei begleitet oder mitgefiebert haben – sei es vor Ort oder über Online-Kanäle!
Resümée: Atmosphäre zeichnet diese Veranstaltung aus und hinterlässt einen unvergesslichen Eindruck! Ich hab zwar einige Zeit gebraucht, mich vom Rennmodus zu trennen, aber es war die richtige Entscheidung! So war es ein wunderbares Erlebnis – und ist – auch wenn ich trotz der geplanten 60 nun 80 Stunden gebraucht habe – etwas Großes, das ich geschafft habe. Ich bin wirklich sehr dankbar, zufrieden, glücklich und auch etwas stolz.
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