24 Stunden Ultra Rad Challenge 2018

24 Stunden Ultra Rad Challenge 2018

24 Stunden Ultra Rad Challenge 2018

Am 20. Juli 2018 stand für mich die 24-Stunden Ultra Rad Challenge in Kaindorf/Stmk. auf dem Plan. Ich war durch die vielen Brevets sehr gut vorbereitet und fühlte mich sehr stark. Mein Ziel war es, 600 km in diesen 24 Stunden zu erreichen. Ich hatte mir auch eine Statistik bzw. einen Plan zurecht gelegt, welche Leistung ich dafür zu erbringen hätte. Nachdem mir mein Excel die Kennzahlen auf Basis der Streckenbeschreibung (eine Runde mit 17,9 km und ca. 185 Höhenmetern) berechnet hatte, schauderte es mich erstmal. Es galt neben diesen 600 km auch noch über 6.000 Höhenmeter in einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 26,7 km/h zu absolvieren. Ein Unterfangen, dass für mich schon sehr herausfordernd ausschaute – und das war es schlussendlich auch.

Wir – meine Frau Sabine, die meine Betreuerin für dieses Vorhaben war, und ich – waren am Freitag kurz nach Mittag im Startgelände um noch einen ansprechenden Platz für unser Basislager – bestehend aus Auto, Nespresso-Maschine und Liegestuhl – zu ergattern. Und wir fanden tatsächlich noch einen freien Platz direkt an der Strecke. Ich startete in der Klasse Männer 50+ zusammen mit 29 anderen Verrückten, die auch alle ihr Bestes geben würden! Insgesamt waren knapp 100 Frauen und Männer im 24h-Solo-Bewerb und über 300 TeilnehmerInnen im 24h-Team-Bewerb am Start. Daneben wurden noch kürzere Solo- und Team-Bewerbe (12, 6 und 3 Stunden) mit weiteren 370 Radbegeisterten angeboten. Das ganze Event war wie jedes Jahr bestens organisiert und Radfahrer, Supporter, Fanclubs und Schaulustige waren begeistert.

Start

Der Start war am Freitag um 18:00 Uhr. Bei strahlendem Sonnenschein und angenehmer abendlicher Temperatur ging es in die ersten Runden. Es galt abzuschätzen, mit welcher Watt-Leistung die einzelnen Teilstücke zu absolvieren sind, um die geplante Rundenzeit von ca. 39 Minuten halten zu können. Das war aber gar nicht so einfach, da sich die Gegebenheiten laufend änderten. Da gab es Gruppen, mit denen ich eine zeitlang mithalten konnte, dann wurden sie auf einmal schneller und waren weg. Die nächste Gruppe war zu langsam, dann wieder allein … also keine Regelmäßigkeit. Die einzige Konstante war die Veränderung. Deshalb gab ich eher etwas mehr Druck auf die Pedale und war immer so um 1 bis 4 Minuten unter der geplanten Rundenzeit.

In der Nacht gab es weitere Veränderungen. Mir kam vor, dass immer weniger Radler auf der Strecke unterwegs waren – zumindest nicht an der selben Stelle wie ich und es gab nur einige wenige kleinere Gruppen (2-3 Leute), die mich überholten oder die ich einholte. Das gleiche Spiel wie immer. Manchmal passte die Gruppe gut zu mir und manchmal ich zur Gruppe – indem sie einfach meinen Windschatten nutzten. Wenn ich mich an eine Gruppe anhängte, versuchte ich natürlich auch für die Gruppe zu arbeiten. Wenn mir das nicht gelang, da sie einfach zu schnell unterwegs waren und ich grad so im Windschatten dranbleiben konnte, musste ich sie spätestens an einem Hügel oder dem Weixelberg wieder ziehen lassen. Umgekehrt war es gleich.

Es läuft

Die ersten 12 Stunden machten mir richtig Spaß! Ich fühlte mich kräftig und freute mich, wie Stunde um Stunde verging. Bis weit nach Mitternacht machte ich nur sehr kurze Stopps beim Basislager um Verpflegung und Trinken aufzunehmen. Es war wirklich schön zu erleben, wie ca. um 4:30 es erst langsam dämmerte und dann innerhalb einer halben Runde das volle Tageslicht anbrach und mich neu motivierte. Es war einfach befreiend, wenn die zwar kurzen aber doch steilen und schnellen Abfahrten – tlw. durch Wald – vor dir wieder gut sichtbar waren und die in der Nacht mitfahrende Angst, ein querendes Tier oder andere Hindernisse wegen des spärlichen Lichts am Rad zu übersehen, wieder schwand! Da begann das Rennen wirklich wieder neu für mich.

In punkto Rundenleistung hatte sich weiterhin nicht viel verändert und ich unterbot meine geplante Rundenzeit weiterhin leicht. Ein bisserl Routine und Wissen, bei welchem Hügel und auf welchem Flachstück wieviele Watt drinnen sind, ist über den nun mehr als halben Tag Rennverlauf schon dazu gekommen. Inzwischen dachte ich mir aber doch immer öfter „Wahnsinn, jetzt schon x Stunden in dieser Intensität unterwegs … wie lange wird das noch gut gehen?“

Ab ca. 6:00 Uhr morgens setzte ich mir Zwischenziele von 3 Runden, also knapp 54 km. Nach jeder 3. Runde gönnte ich mir dann ein paar extra Minuten Pause, trank Espresso, aß etwas und Sabine motivierte mich in diesen Minuten wirklich gut! Die 3-Runden-Taktik ging wirklich gut bis knapp nach Mittag – auch wenn ich die meiste Zeit nur mehr allein unterwegs war und es nun richtig heiß wurde. Ich kann mich gut erinnern, wie der Moderator Bernie Weihsinger, der mich bei jeder vollendeten Runde im Start/Ziel-Bereich mit einem motivierenden „Jeeeeeeeeeeeeeeeeeeff“ begrüßte, mich nach der 26. Runde mit seiner Ansage „Jeff Heusserer, schon 26 Runden absolviert! Über 460km, 10. in seiner Klasse! Unfassbar der Mann!“ schon sehr stolz machte!

Einbruch

In der 27. Runde spürte ich, dass ich nicht mehr so viel Druck auf die Pedale bringe wie vorher. „Was ist jetzt los? Hab ich meine Körner nun verbraucht?“ Als sich diese Gedanken in meinem Kopf formten, war das glaub ich der Anfang vom Ende! Weitere kamen hinzu wie „Warum hab ich so viel allein fahren müssen? Mein Plan ist nur für Fahren in der Gruppe ausgelegt! …“ Ich verfiel quasi von der einen auf die andere Minute – und mein Körper zeigte mir, was „embodyment“ wirklich zu leisten vermag. Leider in die falsche Richtung: meinem Körper ging es nun gleich schlecht wie meiner mentalen Einstellung. Nix geht mehr! Als ich dann schlussendlich auch noch von einer Wespe oder Biene ins Genick gestochen wurde, war wirklich alles vorbei … ich war total verzweifelt!

Mit solchen Insektenstichen habe ich leider schon einige Male sehr schlechte Erfahrung gemacht. Auf Gran Canaria hatte ich im März nach so einem Stich in den Handrücken ca. 5 Tage eine geschwollene Hand wie ein kleiner Kürbis. In den letzten Jahren insgesamt 3 Stiche mit massiven Reaktionen. Seit dieser Zeit nehme ich auch Histamin-Tabletten am Rad mit, um solche raschen Anschwellungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Also auch jetzt 2 Tabletten (sicher ist sicher) runter und schauen, was passiert. Der Weixelberg, ein knackiger Anstieg, der sich vor allem zum Schluss so richtig aufstellt, lag noch zwischen mir und dem Basislager, wo ich mir auch eine Salbe auf den Einstich schmieren wollte. Ich quälte mich drüber, dann wieder die rasante Abfahrt und die lange Gerade bis ins Start/Ziel-Gelände. Das machte mir sogar unter diesen Umständen noch Spaß!

Sabine versorgte mich und machte sich auch ein bisserl Sorgen, weil ich ihr „nicht mehr so frisch“ vorkam. Ich glaube, sie meinte in Wirklichkeit „du schaust aus wie eine Leiche“, wollte mich aber nicht beunruhigen …

Showdown

Ich ging in eine weitere Runde. Das war eine richtige Tortour … ich brachte auf dem Flachstück von Kaindorf nach Ebersdorf grad noch 27 km/h anstelle von vorher meist 33 – 36 zustande. In meinem Kopf fingen Berechnungen an. Es waren noch 6 Runden notwendig zum 600er-Erfolg. Wenn ich die mit 25 km/h absolviere, geht sich das in der verbleibenden Zeit noch aus … aber fast keine Zeit für weitere Pausen.

Die Vorstellung, ohne Pausen weiter fahren zu müssen, war grausam! Ich bäumte mich noch einmal auf und versuchte mehr zu geben. Ich schaffte es nur kurz … ein beengendes Gefühl im Brustkorb stellte sich sein … jede Bodenwelle wurde zum Super-Anstieg … keine Gruppe in Sicht … nochmal über den Weixelberg, der von Runde zu Runde gefühlte 1% mehr an Neigung zunahm … und all die anderen sich jetzt aufbäumenden kleinen Hügeln, die mir vorher so lange gar nichts ausgemacht haben … und nicht genügend Sauerstoff in der Lunge … und sooo heiß … einfach alles Sch…

Ich quälte mich weiter bis zum Auto. Dort fiel ich fast vom Rad und wollte mich mal für eine Viertelstunde hinlegen und verschnaufen. Die Viertelstunde half gar nix. Probieren wir es nach einer Dreiviertelstunde … same Sh… Ein Blick auf die Uhr: 14:15!  100 Km noch auf die 600 in 4 bis 4,5 Stunden, wenn ich rechtzeitig vor 18:00 die vorletzte Runde beende und daher noch eine anhängen darf. Ich scannte mich von oben bis unten durch und kam zur Diagnose „Body says: no“.

Der Moment der Aufgabe war wirklich nicht schön und ich war froh, dass Sabine da war und mich tröstete. Sie meinte, ich habe Irrsinniges geleistet und sei 500 km in einer für mich unglaublichen Zeit gefahren. Das war für mich aber alles sehr weit weg und ich spürte erstmal  nur große Enttäuschung über mein nicht erreichtes Ziel.

Später beim Heimfahren und so richtig aber erst beim Analysieren meiner Leistung am nächsten Tag, realisierte ich tatsächlich, was ich meinem Körper abverlangt und wie gut er das so lang durchgehalten hat. Ich bin vorher noch nie 18 Stunden mit einer durchschnittlichen Leistung von über 180 Watt (Normalized Power) unterwegs gewesen.

Im Nachhinein

Im Nachhinein – schon bei der Rückreise nach Wien – bekam ich mit, dass das Rennen um 17:00 Uhr wegen eines Gewitters abgebrochen wurde. 600 km wären es also sowieso nicht geworden.

Im Nachhinein haderte ich mit mit mir, dass ich mich nicht noch ein paar Runden mehr gequält habe und wenigstens das Vorjahres-Ergebnis mit 552 km eingestellt habe. Aber warum eigentlich? Die Vorjahresleistung verschwindet eh nicht …

Im Nachhinein betrachtet könnte ich sagen „ich hab mich übernommen!“ und hab deshalb mein Ziel nicht erreicht. Das stimmt wohl auch! Aber wenn ich es nicht getan hätte, würde ich nicht wissen, wo ich nach einem 3/4 Jahr intensiven Trainings wirklich stehe. Jetzt kenne ich meinen Leistungszustand und mit diesem Wissen blicke ich ruhig auf den letzten Bewerb dieses Jahres, den Ötztaler Radmarathon anfang September …

 

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