1001 Miglia Italia – 5 lange Tage
Auf der Webseite von 1001migliaitalia.it steht gleich zu Beginn „Die 1001 Miglia ist das längste und extremste Fahrrad-Randonée des alten Kontinents„. Dieser Satz hat mich gleich nach Paris-Brest-Paris 2019 in den Bann gezogen – auch weil zwei bei PBP neu gewonnene Randonneur-Freunde gemeint haben, sie wollen das auch als nächstes probieren.
Das Brevet war ursprünglich im Jahr 2020 geplant und daher erfolgte die Anmeldung gleich Anfang 2020. Die Corona-Geschichte ließ die Austragung aber erst jetzt im August 2021 zu. Die Anmeldungen für 2020 waren auch für 2021 gültig und ich fieberte einige Monate vorher schon dem Event entgegen. 1.600 Kilometer! Kann ich das durchstehen? Noch dazu mit über 15.000 Höhenmetern und wahrscheinlich einer Affenhitze im August in Mittelitalien.
Der Starttermin rückte näher und ich ließ mir die Entscheidung zur Teilnahme bis in die Vorwoche offen. Ich hatte dieses Jahr an einigen sehr heißen Tagen auch längere Radfahrten/Brevets unternommen und es ging mir nicht sonderlich gut dabei. Die Hitze machte mir recht zu schaffen. Nun zeigte die Vorhersage aber einen leichten Temperaturrückgang und wir packten am Samstag unser Zeug zusammen um am Sonntag nach Mailand/Parabiago aufzubrechen. Sabine, meine Frau, war ebenfalls dabei. Sie würde mich bei den einzelnen Kontrollstellen supporten.
Am Montag, 16.08.2021 um ca. 17:30 war mein Start. Ich kam als letzter der 6 ÖsterreicherInnen weg und startete zusammen mit meinem deutschen Randonneurfreund Dirk, mit dem ich die erste Etappe gemeinsam mit einer Gruppe von ItalienerInnen absolvierte. Es waren 17 Etappen zu meistern, von denen die ersten 12 bereits fast alle der 15.000 Höhenmeter enthielten. Die letzten 5 Etappen bzw. 400 Kilometer durch die Po-Ebene waren ziemlich flach.
Die ersten beiden Etappen mit jeweils ca. 500 Höhenmetern waren gut zum Gewöhnen an die Hügel, die ab Etappe 3 zum steten Begleiter wurden. Der Plan war, die erste Nacht und den darauffolgenden Tag durchzufahren und am Abend die erste Schlafpause zu machen. Die erste Nacht verlief sehr gut, bis auf, dass ich gleich mal bei einer Bergabfahrt – ohne es zu merken – meine Regenausrüstung und eine Windjacke verloren habe. Habe vergessen, meine Packtasche zu schließen, als ich die Beinlinge rausnahm. Viele andere Randonneure schauten mich komisch an, weil ich Beinlinge anhatte, aber den Fehler, meine Knie gleich wieder durch zu kühlen Fahrtwind zu beleidigen, wollte ich diesmal nicht machen. Die dünnen Beinlinge waren während der Nächte immer an und ich hatte keine großen Probleme mit den Knien. Dass sie das eine oder andere Mal schmerzten, war normal, wenn sehr lange Steigungen mit tlw. 10-12% zu bewältigen waren.
Am Morgen des 17. war ich in der Früh nach drei absolvierten Etappen und ca. 270 Kilometern am Küstenort Levanto angekommen. Die Strecke führte nicht direkt am Strand vorbei, aber ich sah beim Runterfahren in die Ortschaft den schönen Strand, der um ca. 7:30 bereits voll mit Wellenreitern war. Ich nahm mir 10 Minuten und fuhr zum Strand, um dieses Schauspiel ein wenig zu beobachten. Danach gab’s in einer Bar erstmal einen guten Cappuccino und ein Brioche-Kipferl mit Vanillecreme. Denn dann ging es zur Sache! Es folgten 2 Anstiege mit jeweils 500 Höhenmetern und nach einer kurzen Pause in Aulla weitere 800 Höhenmeter hinauf nach Gorfigliano, einem kleinen Dorf mit Blick auf den Gramolazzo See (KM 363). Es war brütend heiß als ich um ca. 14:00 Uhr dort von Sabine empfangen wurde. Planänderung! 2,5 Stunden schlafen, jetzt! Um der Hitze zu entkommen und dafür die zweite Nacht wieder durchfahren. Ich konnte nicht besonders gut schlafen, obwohl der Platz im Schatten am Rand des Sees sehr idyllisch war. Um 17:00 ging’s weiter auf der 117km langen Etappe nach Pontedera (KM 480). Dort fühlte ich mich noch einigermaßen gut und ich nahm die nächsten 112 km Richtung Castelnuovo Berardenga um ca. 00:45 in Angriff.
Diese Nacht werde ich nicht so schnell vergessen! Irgendetwas stimmte mit meinem Magen/Bauch nicht und ich musste gleich 2x in dieser Nacht in Büsche. Nach ca. 2h begann mich der Schlaf zu fangen und ich machte in einer Hofeinfahrt einen 20-Minuten-Powernap. Ich habe das bisher noch nie gemacht und wusste nicht, ob es überhaupt funktionieren bzw. nützen würde. Handy-Timer auf 20 Minuten gestellt, Augen zu, sofort eingeschlafen! Das Schrillen des Timers weckte mich auf und ich hatte das Gefühl, wirklich sehr lang geschlafen zu haben. Der Schlafdrang war weg und ich schaffte wieder 3 Stunden, bis er wieder anklopfte. Dieses Mal und auch beim dritten Mal wachte ich aber bereits vor den 20 Minuten selbst auf und hatte nicht dieses ganz gute Gefühl, wie beim ersten Powernap.
Die Etappe schien endlos für mich und erst nach ca. 8 Stunden waren diese 112 km und 1.600 Höhenmetern bezwungen. Offensichtlich schaute ich auch aus wie ein Gespenst und Sabine schickte mich nach der Erstversorgung gleichmal für 3 Stunden auf die Matte im Turnsaal bei der Kontrollstelle Castelnuovo Berardenga (KM 592). Ich schlief richtig tief und erholte mich gut.
Die nächsten beiden Etappen mit zusammen ca. 170 km bis Bolsena (KM 765) gingen sehr gut. Dort war die geplante Schlafpause, die ich ebenfalls in Anspruch nahm und mich wieder gut regenerierte.
Weiter ging’s … am 19. um ca. 05:15 erreichte ich den Halfway-Point. Da gingen mir wilde Gedanken durch den Kopf … einerseits war ich froh und stolz, dass ich bereits 800 Kilometer hinter mich bringen konnte – auf der anderen Seite „sch… nochmal 800 Kilometer!“. Diese Etappe war mit 140 km und 1.800 Höhenmetern auch nicht ohne! Hier gab es auch eine „geheime Kontrollstelle“ oben am Berg Peglia nach ca. 800 Höhenmetern am Stück. Meine Beine waren nach wie vor sehr gut! Es folgten eine lange Abfahrt den Berg runter und weitere 70 km etwas wellig an den südlichsten Tour-Punkt zum Trasimeno See und dann nach zum Kontrollort Tavernelle S. Eseubio (KM 904).
Noch 3 Etappen mit zusammen 3.300 Höhenmetern … da muss ich durch! Zu Mitternacht des 19. erreichte ich Scarperia (KM 1.063). Hier machte ich wieder eine Schlafpause.
Die Schlafpausen schauten ca. so aus: Ich kam an, bekam erstmal meine sog. „Suppe“. Das ist ein heißer Shake mit Wasser und Jarmino-Kollagen-Eiweiß mit Salz und Pfeffer. Da rein kommen Backerbsen. Ich liebe diesen Geschmack und das päppelt mich so richtig auf! Dann lege ich mich in den großen Kofferraum unseres Dacia Logy’s auf eine Luftmatratze, setze mir Schallschutz-Kopfhörer und eine Schlafmaske auf … und bin innerhalb weniger Minuten in Tiefschlaf. Nach 3 bis 3,5 Stunden Schlaf weckt mich Sabine, macht mir eine Eierspeis und füllt mir die Flaschen auf, während ich mich für die nächste Etappe vorbereite. Wir waren ein wirklich tolles Team und ich konnte mich einfach auf das Radeln konzentrieren. Sabine bereitete alles vor, was ich so an Trinken und Essen benötigte, schaute, dass ich nicht zu ehrgeizig war und meinem Körper die notwendigen Pausen gönnte und gab mir unterwegs auch Tipps, wo ich vielleicht mal einen „Einkehrschwung“ machen sollte. An dieser Stelle: DANKE Sabine! Ohne dich wäre dieses Vorhaben nicht so einfach möglich gewesen!
In der Früh um 04:00 rauf auf den letzten Berg! Hurra! Und runter in die Ebene … Ich dachte, jetzt ist es so gut wie geschafft! Nur mehr 500 km in der Ebene! Das wird einfach … weit gefehlt! Die Straßen zum und entlang des Flusses Po waren dermaßen schlecht, dass es einen rüttelt und schüttelt – fast wie beim Mountainbiken einen Single Trail entlang – allerdings ohne irgendeine Federung. Nachdem mein Hintern schon längst offen war und ich auf „schöner“ Straße schon nicht mehr wusste, wie ich sitzen sollte, war es nun wirklich höllisch! Ich musste sehr viel stehend fahren, um den Allerwertesten immer wieder zu entlasten.
Da kam dann auch eine Phase, die ich an mir im Zusammenhang mit #weitradlfoan noch nicht kannte. Ich ärgerte mich dermaßen über meine aktuelle Situation, die schlechten Straßen, tlw. Gravel-Pisten, meinen lädierten Hintern, die endlose Ebene, den Gestank riesiger Schinken-Schweine-Farmen (nie wieder Parma-Schinken …), das nur langsame Runterzählen der Etappen-Restkilometer am Bike Computer, die Fliegen und Bremsen, für die ich inzwischen wohl ein Leckerbissen geworden bin, und eigentlich eh alles. Ich kam manchmal so in Rage, dass ich mich gar nicht mehr gut konzentrieren konnte und akkurat das nächste Schlagloch direkt erwischte, was das Ganze noch weiter eskalieren ließ. Irgendwann war ich aber wieder soweit bei mir, dass ich es schaffte, nüchtern über die Situation nachzudenken. Die Straßen würden wahrscheinlich nicht besser und ich muss da einfach durch. Ärger kostet nur zusätzliche Energie, die ich wohl besser in Vortrieb und fürs stehend-fahren nutzen sollte.
In Fombio (KM 1.480), den Ort der letzten Kontrollstelle, wurden wir sehr, sehr freundlich empfangen und bewirtet, hatten viel Spaß mit den freiwilligen HelferInnen und damit war mein Groll endgültig verflogen. Die letzte 120-km-Etappe war nochmal etwas mühsam. Wieder sehr schlechte Straßen über ca. 100 km und eine Abweichung zw. Routen-Bodenmarkierung und GPS-Track. Ich war wohl einen Moment unaufmerksam und übersah eine Bodenmarkierung, was mir ca. 5-6 zusätzliche Kilometer bescherte, bis ich wieder auf der Strecke war. Die letzten ca. 40 Kilometer waren dann sehr versöhnlich. Es ging auf einem schön asphaltierten Radweg entlang eines wunderschönen Kanals mit tiefblauem Wasser und kleinen sprudelnden Wasserfällen bei den Staustufen. Ich hatte tatsächlich öfter Lust, da mal reinzuhüpfen – schlussendlich überwog aber der Drang, das Ding endlich fertig zu kriegen. Diese letzten Kilometer fuhr ich zusammen mit einem italienischen Randonneur und wieder – wie schon oft zuvor, wenn ich andere Radler traf und ein Stück mit ihnen zurücklegte – fischte ich meine paar Wörter italienisch und mein Gegenüber seine paar Wörter englisch zusammen und wir konnten uns einigermaßen – auch mit viel Gestikulieren – verständigen.
Es war dann ein wirklich sehr emotionales Ende der 1.001 Miglia Italia, als wir uns die letzten Meter vor dem Ziel die Hände gaben und mit erhobenen Armen nebeneinander bis zur Ziellinie fuhren, wo schon Sabine wartete und meine erste Gratulantin war!
Danach gab es für jeden persönlich eine kleine Finisher-Zeremonie, wo man eine schöne Medaille und noch ein paar andere Erinnerungsstücke überreicht bekam.
Auch der Fermo Rigamonti, der Kopf des Organisationsteams, kam vorbei und wollte von jedem wissen, wie es wohl war … und ob ich wohl wieder in 4 Jahren dabei sein werde. Aber das ist eine andere Geschichte …
Abschließende Gedanken
Ich bin sehr gespalten, was die Erfüllung meiner Erwartungen an diese 1.001 Miglia Italia betrifft. Auf der einen Seite bin ich sehr froh und ich glaube auch mit Recht etwas stolz darauf, dass ich selbst – neben den erwähnten Tiefpunkten, die aber bei so einem Unterfangen ganz normal sind – so kraftvoll durch dieses Abenteuer geradelt bin und auch die extreme Hitze gut gemeistert habe. Meinen 120-Stunden-Plan konnte ich gut erfüllen und Sabine und ich machten ernährungs- und erholungsmäßig ziemlich alles richtig, dass ich bis zum Schluss sehr gute Beine hatte.
Was die Strecke selbst betrifft, hatte ich meine Erwartungen im Vorfeld wohl zu hochgeschraubt. Erst in der letzten Woche vor dem Brevet habe ich mir die einzelnen Etappenbeschreibungen durchgelesen und die waren so schön formuliert, dass ich mich total auf diese Strecke zu freuen begann. Davor war es mir ziemlich egal, wo ich da wohl herumradeln würde und wie es da ausschauen würde. Tatsächlich blieben mir während der Fahrt aber nur wenige Gegenden und Orte in Erinnerung, die bei mir Eindruck hinterließen. Es waren nur ganze vier Mal, dass mein Herz vor Freude über die Schönheit der Landschaft hüpfte und ich sogar vom Rad abstieg, um ein paar Minuten zu verweilen und zu fotografieren. Möglicherweise bekam ich aber einiges nicht mit, da ich sehr viel im Dunkeln unterwegs war und bei Tage durch die Hitze eher bei mir als mit den Augen im Umfeld war.
Die Qualität der Straßen war sehr unterdurchschnittlich für ein Randonneurs-Brevet. Wenn ich vorher sagte, die letzten 500 Straßenkilometer seien wirklich extrem schlimm gewesen, so bedeutet das nicht, das vorher alles „Hochglanz-Asphalt“ war. Ganz im Gegenteil, die Ausnahme waren gute Straßen, die Regel eher holprige. Durch das langsamere Bergauf-Fahren bei den vielen Höhenmetern fallen solche Straßen aber nicht ganz so negativ auf. Beim Runterfahren musste man schon höllisch aufpassen – vor allem in der Nacht.
Um die Frage von Fermo Rigamonti nun zu beantworten: Nein, ich werde in 4 Jahren nicht nochmal teilnehmen. Einerseits, weil ich generell solche langen Brevets nicht öfter mache, da ich einfach auch andere Gegenden mit dem Rad kennenlernen möchte. Andererseits, weil ich „das längste und extremste Fahrrad-Randonée des alten Kontinents“ nun eh bewältigt habe!
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