Randonneure Austria Brevet 600km – Mai 2019

Randonneure Austria Brevet 600km – Mai 2019

Randonneure Austria Brevet 600km – Mai 2019

Ich möchte bei Gott keine Blasphemie betreiben, aber während der Fahrt des 600km Brevets am 18. und 19. Mai 2019 sind mir diese komischen Gedanken in den Kopf geschossen, dass sich dieser 600er wie ein endloser Leidensweg oder übertrieben sogar wie ein Kreuzweg – Gottseidank ohne Tod – anfühlte.

Ich hätte viel lieber anderes – nicht so negativ klingendes – erzählt, doch für mich fühlten sich die beiden Tage wahrlich nicht gut an. Allerdings beim näheren Hinschauen ist trotzdem sehr viel Positives meinen Zeilen zu entnehmen. Ich bleib daher beim Leidensweg und beschreibe in der Folge ein paar der Stationen dieses Weges.

1. Station: Jeff verurteilt sich selbst zum 600er Brevet.

Nach dem anstregendenen 400er das Wochenende davor, war ich bis zur Wochenmitte noch etwas angeschlagen, doch ab dieser Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Erholung gut voranschreitet. Am Donnerstag in der Früh machte ich noch ein kurzes Reaktivierungstraining mit ein paar Mini-Sprints – was ich allerdings lieber hätte bleiben lassen sollen. Den ganzen Donnerstag war ich wieder ein bisserl matt und versuchte durch frühes Schlafengehen – wie auch an den Tagen zuvor – meinen Körper noch weiter zu regenerieren. Freitag in der Früh fühlte es sich wieder gut an und so machte ich mich am frühen Nachmittag auf nach Haid – übrigens das 1. Mal bei den ganzen bisherigen Brevets, dass ich bereits so früh dort ankam. Ich hatte immer die verbliebene Arbeit in der Firma wichtiger genommen, und kam meist erst um 22:00 Abends nach Haid. Nach einem wirklich sehr gemütlichen Essen mit einigen Randonneurs-KollegInnen schaffte ich es, sehr früh zu Bett zu gehen, mobilisierte meinen nach wie vor verspannten Nacken nochmal und wachte am Samstag in guter Stimmung und frisch auf.

2. Station: Jeff nimmt das Brevet in Angriff.

Samstag vor dem Start checkte ich mich gedanklich durch und kam zum Entschluss, dass ich stark genug war, an den Start zu gehen. Und so ging’s um 06:59 los und ich wollte so wie die anderen 67 TeilnehmerInnen mein Bestes geben. Ich hatte mit Gernot T., Otto P. und Robert J. vereinbart, die 600km ohne Schlafpause mit ihnen durchzufahren – so wie im Vorjahr auch.

3. Station: Jeff fällt zum ersten mal zurück.

Ich merkte bald, dass ich nicht besonders druckvoll in die Pedale treten konnte. Das Dranbleiben an der Gruppe in der Ebene war vorerst kein Problem, aber auf Steigungen hatte ich meine Müh und Not und fiel immer wieder zurück. Ich dachte mir erst „ja ich brauche halt eine gewisse Zeit, bis mein Motor rund zu laufen beginnt“, aber als dann schon 2 h vergangen waren, wusste ich „da passt heute was nicht … hoffentlich wird’s besser …“. Ich teilte meine Befürchtungen einigen KollegInnen in der Gruppe mit, wonach sogleich die Antwort kam „Mach dir keine Sorgen! Wir ziehen dich da heute mit!“.
Bei der ersten Kontrollstelle (77km) war ich bereits einige Minuten im Rückstand auf Gernot und die anderen. Die warteten aber wie versprochen auf mich und ich fuhr nach dem Stempeln und Wasserauffüllen gleich wieder weiter.

4. Station: Helmut und andere helfen Jeff bei der Gruppe zu bleiben.

Die Hilfestellung war ernst gemeint! Tatsächlich kümmerte sich immer jemand um mich – meist war es Helmut W. – wenn ich zurückfiel und es galt, wieder zur Gruppe aufzuschließen. Ich fand diese Kameradschaft so wunderbar! Es kamen immer wieder aufmunternde Worte und so konnte ich KM für KM hinter mich bringen. Das Mühlviertel quälte mich wirklich sehr mit langen Steigungen, kurzen und dafür steilen Steigungen und die Abfahrten dazwischen waren meist zu schnell vorüber, dass ich mich richtig drüber freuen konnte.

5. Station: Jeff fällt zum zweiten mal zurück.

Nach 148km erreichte ich durch die tatkräftige Unterstützung der Gruppe die 2. Kontrollstelle in Langegg. Dort gab es auch eine Labestelle mit Suppe, Wurstbrot, etc. Vielen Dank dafür an Sylvia, Edith und Ferdi! Gernot, Otto und Robert waren dort schon viel früher angekommen. Sie hatten wirklich einen guten Tag! Robert meinte, er würde auf mich warten, denn der Plan des gemeinsamen Durchfahrens stehe immer noch! Ich teilte ihnen mit, dass es absolut keinen Sinn macht, dauernd so lang auf mich zu warten und dass sie ohne Rücksicht auf mich ihr Ding durchziehen sollten. Robert vergewisserte sich, dass ich eh nicht bös‘ sei und er und Gernot zogen mit anderen weiter. Ich sollte sie erst am Abend bei KM 317 wiedersehen, als sie bereits zum Weiterfahren durch die Nacht bereit waren, als ich dort erst auftauchte.

6. Station: Jeff wird noch schwächer und der Gegenwind noch stärker.

Die geographischen Eigenschaften des Mühlviertels und später des Waldviertels machten meinen Beinen immer mehr zu schaffen. Dazu kam ein dauernder starker Gegenwind. Auch wenn ich mich immer irgendwo in der Gruppe vor dem Wind verstecken konnte/durfte, so war das dauernde laute Windgeräusch und der beständige Wind im Gesicht sehr zermürbend. Dieses Stück bis zur Kontrollstelle 3, die Pizzeria Milano in Horn (235km) fiel mir wirklich sehr schwer!

7. Station: Otto schleppt Jeff nach Michelndorf.

In der Pizzeria Milano wollte Otto nur eine kurze Pause machen, da er sich – genauso wie ich normalerweise auch – mit längeren Pausen und dem damit einhergehenden Abkühlen schwer tut. Das Wiederanlaufen zum eigenen Rhythmus dauert dann wieder extrem lang und ist unangenehm und teils schmerzhaft. Ich entlockte ihm zumindest noch ein paar Minuten und verabschiedete mich vorübergehend von der Gruppe. „Ihr holt uns eh bald ein …“ meinten Otto und ich. Ich wollte das Ganze einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen. Dann fuhren wir los die nächsten 82 km Richtung Michelndorf, wo die meisten eine Schlafpause einlegen würden.

Ich war zu dieser Zeit komischerweise immer noch der mittlerweile irren Idee verschrieben, die Nacht durchzufahren. Ich folgte Ottos Hinterrad und Otto gab mir guten Windschatten mit seiner Größe. Von Zeit zu Zeit fragte ich zaghaft, ob nicht doch mal ich vorne fahren solle – auch wenn’s vielleicht ein bisserl langsamer sein würde, doch Otto gab zu verstehen, dass er sich gut fühle und mich weiter schleppen könne. Meine Dankbarkeit war in diesem Moment grenzenlos.

Bei einer kurzen Pause machte mich Otto durch folgende Aussage sehr nachdenklich. Er meinte „Wenn du jetzt am Abend ein paar Stunden Ruhe gibst, hast Paris-Brest-Paris sicher in der Tasche, wenn du weiterfährst ist das nicht so sicher …“. Ich hätte noch über 40km Zeit zum Überlegen gehabt, doch diese eindringlichen und gut gemeinten Worte, führten bald zum Entschluss, auch in Michelndorf zu pausieren. Ich hoffte ab jetzt nur mehr, dass ich irgendwo ein Platzerl zum Hinlegen bekommen würde … zur Not wäre ich auch auf dem Boden oder einer Bank geschlafen.

Der Weg vorbei an Krems nach Tulln und dann weiter in den Süden brachte mich ganz nah an meine Wahlheimat Wien und in diesem Gebiet bin ich sehr oft zum Radtraining unterwegs. Aber selbst das konnte meine momentante Stimmung nicht aufhellen. Ich hing einfach am Hinterrad von Otto – so wie den ganzen Tag zuvor am Hinterrad vieler anderer – und bekam von der Schönheit der Landschaft, von den Späßen der Randonneure und von der wunderbaren Sonne, die den ganzen Tag geschienen hat, leider nicht viel mit. Danke Otto für deine unglaubliche Leistung, solange für mich den Wind zu teilen!

8. Station: Jeff findet wenig Schlaf.

Ferdinand konnte für mich sogar ein richtiges Bett im Gasthaus Messerer in Michelndorf (K4 bei 317km) organisieren. Ich hoffte, mich nun doch ein bisserl erholen zu können. Nach einer erfrischenden Dusche und einem ausgiebigen und guten Essen, legte ich mich ins Bett und wünschte, bald einschlafen zu können. Leider wälzte ich mich bis ca. 01:00 morgens im Bett herum bevor ich tatsächlich meine Ruhe fand und mich der Wecker um 04:00 zu bald wieder aus dem Schlaf riss. Ich schwang mich aus dem Bett – das wollte ich … ich versuchte mich aus dem Bett zu erheben – es gelang nicht … ich nahm erst ein Bein und hob es mit beiden Händen aus dem Bett und dann das andere – das funktionierte! Ich hatte einen dermaßen extremen Muskelkater – oder was auch immer das war – in den Oberschenkeln, dass jede auch noch so kleine Bewegung mit den Beinen extrem schmerzte. Na bravo! Das fängt ja schon gut an … Bald traf ich die anderen beim Frühstück und um 05:00 ging’s weiter.

9. Station: Jeff geht ein ins Himmelreich.

Wir peilten die nächste Kontrollstelle Mariazell bei 426km an. Ich dachte beim Wegfahren, dass mein Muskelkater nach ein paar Minuten – wenn die Beine wieder warm seien – abklingen würde. Aber es war offensichtlich kein Muskelkater wie gedacht, sondern tats. solche Muskelschmerzen, wie sie durch Unterversorung der Muskelzellen entstehen, wenn der Körper mit noch anderen Baustellen (Infekten) beschäftigt ist. Das sagte mir jedenfalls mein Masseur ca. 1 Tag später, als ich bei ihm war um diese Schmerzen in den Griff zu bekommen. Diese Muskelschmerzen blieben den ganzen Rest des Tages meine „treuen“ Begleiter.

Meine Gruppe war abermals auch an diesem Tag sehr um mich bemüht und tat alles, dass ich dabeibleiben konnte. Es stellten sich nach einem eher flacheren Teilstück bald 2 „kleinere“ Hindernisse in Form von längeren Anstiegen in den Weg. Die Auffahrt nach Kalte Kuchl rauf und weiter über den Berg drüber und später die extreme Rampe hinauf nach Gscheid schon kurz vor Mariazell. Diese Steigungen verlangten mir wieder alles ab. Zusätzlich zu meiner Kraftlosigkeit blieben die Muskelschmerzen und ich fragte mich ständig, was ich wohl Schlimmes verbrochen haben musste, um mit solchen Leiden bei der Pilgerfahrt nach Mariazell bestraft zu werden.

Doch auch – und das ist das Schöne an Etappenzielen – dieses Teilstück des Brevets ging mit letzten Serpentinen vor Mariazell zu Ende und als ich die Straße hinein in den Ort fuhr, bildete ich mir ein, dass die Glocken der Basilika von Mariazell nur ganz allein für mich so laut und fröhlich läuten würden. Der Gasthof Himmelreich, wo die Kontrollstelle immer untergebracht ist, machte seinem Namen wirklich alle Ehre und ich fühlte mich tats. im „siebenten Himmel“ als ich dort ankam, und noch mehr, als ich mich bei guter Suppe und Espresso im Kreise meiner Randonneurs-KollegInnen wieder etwas stärkte. Doch noch immer stehen 176km an …

10. Station: Jeff ist richtig angeschlagen.

Über die Fahrt von Mariazell zur nächsten Kontrollstelle 6 in Göstling bei knapp 500km und weiter zur letzten Kontrolle vor dem Finish in Dürnbach habe ich kaum Erinnerungen im Kopf. Ich sehe nur Asphalt unter mir, verschiedene Reifenstärken und tlw. rotblinkende oder ausgeschaltete Rücklichter vor mir – und meinen Radcomputer, der die Kilometer immer langsamer hochzählte. Meine einzigen Gedanken waren „Dranbleiben! Du schaffst das! Rechts – links – rechts – …“. Das Treten wurde immer beschwerlicher und mittlerweile raunzte auch mein Hintern immer öfter und ich musste ihn durch oftmaliges Fahren im Wiegetritt beruhigen. Dabei konnte ich aber auch kaum mehr stehen, weil ich die Beine nicht richtig stabilisieren konnte. Im Nachhinein war ich ihm (dem Popo) dankbar, dass er sich nicht unangenehmer aufgeführt hat – denn er hätte allen Grund dafür gehabt so wie der tatsächlich ausgeschaut hat …

Die wellige Straße entlang der Enns kam mir vor wie ein steiler Alpenpass und als wir kurz nach Ternberg, die Enns überquerten, wusste ich, dass zumindest die nächste Pause in Griffweite liegt. Im Gasthaus „Zur Gerti“ bei 563km (Kontrolle 7) wurden wir äußerst freundlich bedient und unterstützt und es gab Gutes zu Essen und zu Trinken. Die kurze Pause tat mir wirklich gut und als die Wirtin uns mit den Worten „nur mehr vierzig Kilometer, dann habt’sas!“ tröstete, dachte ich mir dabei nur „Nein! nicht noch 3km mehr …“

11. Station: Jeff steigt in die Hölle.

Ich wusste, dass es jetzt nur mehr ein Katzensprung ist, aber für einen bereits lange auf „Reserve“ fahrenden Radler kann das auch noch ein großer Auftrag sein. Vor allem, weil Ferdi bei diesem letzten Stück alle größeren Hügel der ganzen Gegend auf seine Strecke verlegen ließ … nur um uns noch etwas weiter quälen zu können ;-). Ein knackiger – zwar gottseidank nur knapp 1km langer – Anstieg macht seinem Namen alle Ehre: die Höllstrasse! In dieser „Hölle“ brannte das Feuer in meinen Oberschenkeln nochmal besonders heiß und ich verteufelte diese und jede weitere Steigung – denn es kommen dann noch 4 ähnliche – innerlich so lautstark, dass ich Angst hatte, meine Gedanken könnte möglicherweise doch jemand hören. Paul war in dieser Phase bei mir und beruhigte mich. Die letzten eher flachen 15km sind dann entweder zum nochmal „Gas geben“ (Variante 1) geeignet oder zum „Ausradeln“ (Variante 2). Ferdi kam uns auf diesem Teilstück entgegen und ließ es sich auch nicht nehmen, die Gruppe in eher Variante 1 ins Ziel zu ziehen! Paul und ich entschieden uns für die Variante 2 und kamen ein paar Minuten später im für mich so lang ersehnten Ziel im Tenniscenter Haid an.

12. Station: Jeff dankt seinen Rettern.

Ich hatte bei jedem meiner bisher absolvierten Brevets feuchte Augen, wenn ich von der Straße rein zum Tenniscenter abbiege, weil ich dankbar und stolz bin, mit aber auch für meine Gruppe gefahren zu sein. Diesmal waren es einerseits Tränen der Erleichterung, dass diese Tortur ein Ende hatte, an das ich mitunter nicht mehr glaubte und andererseits der übergroßen Dankbarkeit darüber, dass ich über 2 Tage hinweg von meiner Gruppe gezogen, getragen und motiviert worden bin, dass sie für mich mitgedacht und mitorganisiert haben und niemals nur der Gedanke aufkam, ich ich würde die Gruppe ausnutzen oder sei ein „Reifenlutscher“. Mit soviel Kameradschaft, Mitgefühl und eigenem Zurückstecken für jemanden anderen hatte ich wirklich nicht gerechnet und es beschämt mich zutiefst! Diese große Dankbarkeit wollte ich meiner Gruppe auch ausdrücken und ich bat gleich nach Ankunft um einen kurzen Moment dafür. Wir bildeten einen kleinen Kreis und ich versuchte genau das hier Beschriebene auszudrücken. Es gelang mir allerdings nicht so ganz und ich konnte nicht viel mehr als ein paar Worte stammeln, während die Tränen wie Flüsse aus meinen Augen liefen. Ich war überwältigt von meinen Emotionen und beruhigte mich nur sehr langsam. Gottseidank fand ich später Zeit und Gelegenheit mich bei jedem einzelnen gebührend zu bedanken.

An Alexander, Carlos, Didi, Helmut, Horst, Lexan, Otto, Pia, Paul und einige andere, die mit dieser Gruppe teilweise unterwegs waren:
Ich hoffe ich kann irgendwann einmal das zurück geben, was ich von euch erfahren habe! DANKE!

Was danach geschah:

… so richtig krank mit 39° Fieber die ganze folgende Woche inkl. Antibiotika-Behandlung wegen offenem und schlimm entzündetem Popo …

Diesmal konnte ich selber keine Fotos machen, da auch meine Kamera ihren Geist aufgegeben hatte. Danke an alle, die mir Fotos zukommen ließen!

2 Kommentare

Wolfgang Veröffentlicht am10:42 pm - Mai 25, 2019

Hi Jeff, interssant zu lesen!….den Infekt hast sicher schon in der Woche davor in dir gehabt, ich habe nur einmal einen R-marathon gemacht mit einem Infekt, wären nur 150km gewesen, bei der Auffahrt zum Preiner Gschaid hab ich bei km100 aufgehört war dann auch Woche mit Fieber und Antibiotika im Bett,…….das kann passieren, selten aber doch…..
Hauptsache du bist wieder in Ordnung,….bedenke: das ist nicht dein Job,…..eventuelle gesundheitliche Folgen sind’s nicht wert,…..ich weiß….in derartiger Situation denkt man anders……
Ich machs ein Bissl kleiner ;-)…..in der Pension dreh ich wieder auf…..wenn ich’s erleb!!! Schau ma mal……bis dahin: keep cool
LG Wolfgang

Alexander Veröffentlicht am11:47 am - Jan 2, 2022

Respekt vor der Leistung und vor allem Respekt vor der Leidensfähigkeit!

„Hut“ ab!

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